GEDANKENKABINETT Nichts muss bleiben, wie es ist.
                      GEDANKENKABINETTNichts muss bleiben, wie es ist.

Die große Enttäuschung

 

Hermine Magged, von und zu geborene Diener, lacht nicht mehr.

Hermine hat ihr schön gerühmtes Lachen abgelegt wie ein altes Kleid. Es ist ihr nicht plötzlich oder willentlich entschlossen in den Sinn gekommen, wie ein Laster, das sich einer abgewöhnt. Nein, sie kann ganz einfach nicht mehr lachen.

Die Physiognomie ihres hübschen, abgelebten Gesichtes gestattet es ihr einfach nicht mehr. Alle Muskeln sind dort noch in Takt, nur der Mund mag seine Winkel nicht mehr heben.

So sehr Hermine es auch an selten gewordenen Morgen wünscht, - ihr Mund bleibt ganz Strich; Strich vor einem Schlund der Abgrund gleich auch das gute Essen nur noch würgt, das ihr ihre gute, alte Pensionsvorsteherin liebevoll Tag für Tag zubereitet und vor ihre Kammer trägt.

Was ist los mit Hermine Magged, von und zu geborenen Diener?

 

Hermine Diener wird in einer lauen Winternacht des Jahres 19.. in eine große deutsche Hansestadt unter starken Mutterwehen von Kopf bis Fuß ganz ekelsgelb geworfen.

Da war sie nun, wo sie niemals hingewollt, und starrte aus guten, treuen, reizend Äuglein in die kalte Welt hinaus, die einem von Anfang an so lieben Herzen doch nur wohlgesonnen sein darf.

Vom Vater bald geschändet lernte Hermine das große Dienen von Kindesbeinen an. Still und furchtbar lieb ließ sie alles Spielen zu und wollte ihrer guten Mutter doch nur Freude bringen, die so oft von ihrem lieben, guten Vater ganz schwarz geschlagen ward.

Brav und voll tapferem Vergessen betrat ein süßes Herminchen später dann die Schule, die sie mit Bravour zwölf Jahre später verließ.

Die Welt stand ihr jetzt offen, wie die Mutter oft, glühend vor so viel Stolz, zu ihr sprach. Auch der Vater war darüber froh und dennoch stets abgewandt.

Und Hermine wurde Bibliothekarin in einem großen deutschen Archiv, wo sie große deutsche Memoiren mit Hingabe durchsah, durchlebte, schließlich archivierte, in saubere Regale ordnete und mit einem Alphabet versah, das seinesgleichen Ordnung sucht.

Bald schon traten die Männer in Hermines Leben. Und mit ihnen das altbekannte Dienen. Und wie sie liebte! Wie sie lachte! Alle Herzenssterne leuchteten auf ihren Lippen, wenn sie dem Geliebten galten.

In der Liebe lebte sie so voll und ganz. Und das Leben war Hermine dann mehr denn leben. Und alle gingen sie. Alle segelten davon. Aeneasgleich.

Doch Hermines Lächeln blieb. Stets und viel lachte sie, Menschen, Bäckerinnen, Obsthändlern, Metzgerinnen, Postbeamten Freuden zu schenken, das ihr viel gerühmtes Lächeln wohl vermochte. Und Hermine lebte und lächelte fort. Auch ganz ohne große Freude.

Dann trat der neue Direktor des großen deutschen Archivs in Hermines Leben. Sie lächelte ihm, aufrichtig, und er gab ihr seinen Namen. Nun war sie eine Magged. Und ihre Mutter glühte vor Stolz und Frieden. Und ihr Vater war nicht mehr abgewandt. Gleich fühlte er sich dem Direktor Magged tief verbunden, - ein rechter Mann, ein guter Mann von Ehre und Ruhm, der nun seine Tochter leiben durfte. Hermine war froh.

Auch als der Direktor lieber das Lächeln seiner Sekretärin an seinem Geschlechte sah als das Hermines, standen ihre Mundwinkel tapfer ihren Mann. Als dann auch er aeneangleich ihr kleines Herz verließ, brach es nicht entzwei. Hermine arbeitete weiter, sorgte sich um Mutter, Vater und lebte wohl.

Als ihr Vater bald darauf verstarb, galt ihr Lächeln ganz der Mutter, die nun endlich frei.

Hermine zog in eine kleine, hübsche Pension, - mit Rüschengardinen an den kleinen Fenstern, die ihrem Zimmer etwas Heimeliches gaben-, damit sie in Mutters Nähe, die gleich um die Ecke ihr Häuschen hütete, ihrer Mutter lächeln konnte, die schon bald darauf nach Brasilien zog zu einem guten Mann, der sie verdiente und Hermine sechsmal jährlich einen Brief der guten Hoffnung und Liebe schrieb, „Kind, behalte dir dein gutes Lächeln. Und sei froh...“ und so fort. Und Hermine tat’s.

Hermine wurde älter. Eine Frau ward sie von 35 Jahren. Im Leben und der Arbeit recht gut stehend. Mit Geliebten hier und dort. Freundinnen und Freunden in seltenen einsamen Stunden stets zur Hand.

Und eines Morgens wacht sie auf. Will ihre schönen Zähne putzen. Und mag ihre langen Haare glätten. Und geht zum liebevoll hergerichteten Morgentisch. Und mag nicht mehr essen. Und mag nicht mehr lächeln. Und denkt an eine kurze Schwäche.

Und lächelt jetzt beinahe 67 Monate nicht mehr.

 

Im Glück nicht stolz sein, im Leid nicht zagen, das Unvermeidliche mit Würde tragen, das Rechte tun, am Schönen sich erfreuen, das Leben lieben und den Tod nicht scheuen und fest an Gott und bess're Zukunft glauben, heißt Leben, heißt dem Tod sein Bitt’res rauben.

(Carl Streckfuß)

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