Der Gedichtband Abschied entstand 2006 während meiner Beinlähmung. Die Gedichte erzählen von meiner damaligen Ohnmacht und meinem Kampf, ins Leben zurückzukehren. Ich habe versucht, das Pathos griechischer Volks- und Freiheitsmusik - Sebetiko - mit Motiven des klassischen Mythos zu verbinden. Viele Stellen des Gedichtbands zeugen außerdem von den Einflüssen meiner Studien zu Ingeborg Bachmanns Literatur. Die Collagen in diesem Gedichtband setzen sich ausschließlich aus Ausschnitten der Zeitschrift Spiegel der Jahre 1991 bis 2006 zusammen.
Auszug aus meinem Gedichtband Abschied:
Mit Sicherheit nicht
Und wieder einmal
schlafen legen,
tapfer ausziehen, sich die Zähne putzen,
mechanisch eincremen
nur für sich
dann schon bald wieder
aufwachen
versuchen, den Tag hinauszuzögern
und doch wieder aufstehen
einfach so
ohne Grund
Naja, die Blase drückt
Vielleicht passiert ja heute was
Leerstellen
Kassandra spricht:
Als du einst gingst und das Gestern Morgen wurde,
hast du uns verlassen
und mich zwischen die Welten gestellt. (Kassandra leiser hinzufügend) Du warst der Erste, manche folgten dir.
Vielem bin ich auf den Grund gegangen, - dort und dort, nur nicht hier – ,
sie beschützend, beide, beide.
Manchmal nur den Abgrund ahnend zwischen Welten, weh so tückisch.
Hier nicht viele Fragen stellen. Ich will nicht, daß ich lügen muß. Und -
hier bin nur ich, nur ich. Hier bin nur ich, -
wo kein Gott mir gütig scheint.
Dann kam Apoll.
Stimme, leise, beinah stumm; sich steigernd:
...ich weiß einen Ort, ganz tief, ganz tief.
Wo kein Tau sich legt. Wo Kirschen über Pinien weh’n.
Einen Ort grüner Wiesen und heller Himmel,
wo ein See, ganz klar und beinah still,
wartet und blüht,
über und über, voll und voll...
Kassandra spricht:
Ein Fluch, so tief in mir, - niemand hört je meine Rufe!
Zorniger Sohn des Zeus und der Leto, - gekränkter Zwilling, der du das Licht mir nahmst – , höre du! :
Vieles ist wie abgeschnitten.
Vieles nicht mehr möglich, - wird nie mehr sein.
Es gibt keinen Trost.
Nur die Leerzeichen in meinen Sätzen. Und ja, -
das Leben ist schlimm.
Und manche lieben mich,
trotz dem angeborenen Unbehagen an diesem Sein, das meine Adern stillt.
Immer weitermachend, immer wieder, immer neu.
Ajax, dem Lokrer im Tempel der Athene zerschlagen erlegen. Als Sklavin des Agamemnon nicht mehr wissend, was ich mir noch wünschen soll. Doch ich brauchte keinen Wunsch, um weiter zu machen, kein Absehbares und Erstrebenswertes, keine Hoffnung. Als alle Hoffnung scheiterte, jeder Glaube sich verlor, war da nur noch ich.
Kein Held mehr in meinen Himmeln.
(Kassandra sich besinnend) Die Trauer und die Dankbarkeit lebten bald nebeneinander, stets und stets. Nachbarn der Erinnerung, ich will Euch nicht getrennt!
Stimme, leise wispernd:
...es gibt vielleicht doch eine schöne Welt,
wo Regenbögen über helles Korn sich legen
und die Bäche immer fließen, fließen und
Mohnblumen neben Margariten blüh’n...
Kassandra spricht:
Wo ist die Sache geblieben, die größer ist als das Leben,
von der du sprachst,
von der ich sprach aus meinem Kindergesicht, ohne Vorahnung des Schreckens, der auf mich zukam.
Dort redete nicht der Mund, da redete die Hand, die Hand.
Und ja, das Leben ist schlimm und
wir haben dich lieb, sprach’s dort und dort,
denn Soldaten können nicht entscheiden, was gut und was schlecht.
Sie müssen Befehle ausführen, ausführen und den Zorn nicht mehr spüren,
den die Trauer dämpft.
Leise Stimme beharrlicher:
Und es gibt einen Ort, dorthin führt ein Tor,
gülden, so gülden
und fein geschmiedet in blauer Glut.
Kassandra spricht:
Dann starb auch die Hoffnung. Einmal ist auch diese dran.
Als die Welten aufeinanderprallten, die ich binden sollte, und meine kleine Mitte riß,
kein Mensch, kein Mensch mehr, dort und dort,
bloß spitze Zähne unter samtroten Segeln
und getarnte Hiebe,
die meinen Käfig schmiedeten Stahl um Stahl.
Und die Trauer fühlte sich an wie abgeschnitten.
Wispernde Stimme laut:
Ein Ort, so hell und warm.
Ein Ort so still, so still.
Da bin nur ich. Nur ich. Da bin nur ich.
Und fliege und schwebe und tanze und lache
aufwärts, aufwärts strebend ungeheuer
Kassandra spricht:
Dorthin mag ich gehen und weiß, ich werd’s nicht tun. (Kassandra abwesend) Ein fremder Dolch ist mir zugedacht...Keiner wird gefragt, wann es ihm recht ist. (Kassandra sich besinnend) Hier wird immer Kampf mir sein wie dort,
in meinem tiefen See,
in dem die Blütenmorgenträume treiben abgelebt gelebt.
Ein Kampf, weil ich weiß, ich weiß,
wenn ich morgen nicht mehr bin, ist es mir gerade lieb.
Stimme verebbt langsam, dann Stille:
Ein Ort, so hell und warm.
Ein Ort so still, so still.
Da bin nur ich, nur ich. Da bin nur ich.
Merke
Wenn keine Wunder sich erheben
Keine Freude bleiben will
Helden nur als Büsten stehen
Und du das alles nur benommen trägst
Hast du hier dein Leben. Du bist angekommen
In einer leeren Welt – traumhafte Wüsten
Auf weißem Grund stehen endlich still
Und wenn du doch noch einmal glauben solltest
Was du nie mehr auch nur einmal wolltest
Wirst du wieder dorthin gehen
Wo du schon tausend Jahre warst
Und das altbekannte Gleiche finden
Und wieder nichts verstehen
Drum trachte deinen Wünschen zu entbinden
Was du immer wolltest und niemals warst
Das, was ist, ist dein Leben
Nicht, was sein sollte oder kann
Hör auf Träume dir zu weben
Sieh an, was ist und was nicht sein kann
Dann nimm das, was dir noch bleibt – es ist nicht viel-
Und merke dir:
Wie groß die Freude, wie groß das Leid,
Alles geht, gar nichts bleibt!
Schneesturm
(für Ana)
Langer, verzweifelter Winter,
der nicht enden will
Endlos zieht sich deine Kurve
Kein Morgen Schnee genug,
damit die Stille sich erbarmt
Keinen Mittag schmecken bitt’rer die Maronen
Und süßer nichts als dieses Blut an meinem Ohr
Leidenschaftslos bind‘ ich meine Schuhe
Kein Lumpen hier ist dick genug, meine Füße zu bewahren
Ganze Bäche meiner tiefen Spuren frieren innen letztlich zu
Du reichst durch alle Jahreszeiten deine kalte, stumpfe Hand
Erbarmungsloser nur du und du
Immer schon weiß der Frühling um den blauen Eiter deiner Opfer
Und im Sommer ist es starrer Abend
Ohne Wärme nur ich und du
Die Bäume, die in die leeren Zimmer schauen,
mögen nicht mehr wachsen
Der Hafer zieht zurück sich in sein Korn
Kein Ast streicht mehr leicht durch seine Brüder
Nackte Angst tropft aus der Nase
In heller Höh‘ türmen sich schwarze Wolken auf
Ein kalter Hauch berührt die Antennen meiner Haut
Das eisige Donnern dröhnt betäubend laut
Die Zeit nimmt ekstatisch ihren Lauf
Sturm peitscht zornig übers Land
Kahle Baumgerippe neigen ihre Kronen
(Bald werden Vögel in ihnen wohnen)
Wie Ammoniak liegt’s in der Luft
Da zuckt es grell am Himmelsmeer
Die weißen Ebenen liegen leer
Kein Grün bricht aus der Erde
Auf den Straßen, die einst Wege meinten
Bleibt die Ferne röchelnd stehen
Weil ich sie nicht mehr empfinden kann
Alles rast an mir vorbei
Weil niemand sie mehr kennen kann
Alles eilt und bewegt doch nichts
Deine Kälte hat mir die Augenhöhlen ausgekratzt mit Eises Zapfen
Als die Nächte Tage wurden
Und als der Gang aller Tage in den Takt zerschlagen wurde
Hab ich meinem Mund die Zunge rausgebrochen
Der das Eis die Worte nahm
Damit die Sprache in mir noch Rhythmus bleibt
Und Ort mit and’rem Maß der Zeit
Auch die unzeitgemäßen Früchte schmecken mir nicht mehr
Wenn gläserne Kästen immer gleiche Beeren spucken
Und die weiche, dunkle Erde unter dir wie Glas zerbricht
Wo hast du der Menschen Sprache eingefroren
Zwischen Moos und Haselnuß und
Den grauen, gleichen Kindern hast du eine Mauer gezogen aus ewigem Eis
Unsere Freiheit ist aus dem Lauf der Jahre herausgewachsen
Wir sind aus einem süßen Traume aufgeschreckt
In die grelle Wachheit einer neuen Zeit
Deren wütendes Eis nicht nur die Augen mit Blindheit schlägt
Und die Luft in uns’ren Lungen gefrieren läßt
Du tobst schon so lange über’s Land
Was kümmern die Gänseblümchen
Starre Amplituden und Frequenzen
Allein wir haben die Sonne versetzt!
Aber bevor dein letzter Schnee gefallen ist
Will ich dem Rhythmus einer Geige lauschen,
den du nicht fangen kannst.
griechisches Gedicht
Nimm mein Herz
ausgestreckt über den grünen Bergen
Ich brauch es nicht
Wring mir die Augen aus
über alle sieben Meere verteilt
Umwickle die Takelage
mit meinen Locken
Dir zum Sieg
nicht zur Ehre
Halte meine Liebe gestrafft
damit Wind in sie fahren kann
Auf! Auf mit dem
was ich nicht mehr kennen will
Senk es in die Tiefe
damit ich nicht mehr dranlangen kann
Wickle Taue um meine Flügel
damit ich stehen kann
Maste Holz in mein Rückgrat
damit mein Hals noch ein wenig hält
bevor du auch meine Leber nimmst
und meinen Verstand
der nicht sinken kann
solange Zweifel stürmt
Auf! Auf! Hinweg und nimmer zurück
Dort sind keine Küsten
die ich noch kennen will
Hier bin ich
Ein Adler, der Adler ist
auch mit Schwingen, die nichts mehr tragen