GEDANKENKABINETT Nichts muss bleiben, wie es ist.
                      GEDANKENKABINETTNichts muss bleiben, wie es ist.

David. Infant von Scharnhorst

Ein dramatisches Gedicht

 

 

Personen:

Frau Posa                    Lehrerin

Frau Olivarez              Lehrerin

Herr König                   Lehrer

David                           Schüler von 11 Jahren

Nalan                           Schülerin von 14 Jahren

Abdelkarim                  Schüler von 13 Jahren

Daisy                           Schülerin von 11 Jahren

Igor                              Schüler von 12 Jahren

Herr Mercadowski       Hausmeister

Mehrere Schülerinnen und Schüler

 

Erster Akt.

Eingang einer Schule in einem sozialen Brennpunkt in Dortmund

Erster Auftritt.

David, Herr Mercadowski

 

Herr Mercadowski: Die schönen Feiatage sin getz ersma zu Ende. Ker, wat war dat schön. Un getz

so n usseliges Wetta! Dat Wetta is abba richtig schäbbich heut. Ker, heut Nacht war et ganz schön am Plästern dranne.

Ach Mäusken, wat guckst denn so bedröppelt?(David sieht zur Erde und schweigt.)

Hömma! Bisse wieda den ganzen Tach durche City gegondelt?“ (David wendet sich ab.) Habbich irgenzwat vapasst? Seit Monaten machste den Kopp nich auf. Deine Mudda kricht doch die Pimpernellen!

David (dreht sich schnell um): Mutter? Ich hab keine Mutter!

Herr Mercadowski: Dat is doch Mummpitz wasse da sachst.

David (besinnt sich und fährt mit der Hand über die Stirn): Mich is kodderich. Heut kommt die Neue. Ich will pünktlich sein.

Herr Mercadowski: Wollze mich verdumdeuweln Deine Mudda, warse wieda auf Trallafitii? Der Klüngelkerl scharwenzelt schonne ganze Zeit um se rum. Der is n echter Heiopei.

David (zu sich): Ker, ich komm hier nicht…Ich muss rein. Hab schon zu viel geplappert.

Herr Mercadowski: Getz mach doch nich son Brimborium drum. So, getz ersma die Fusseln am Mund abspüln. Da hinnen kommt schon die Neue.

David: Schon gut. Ich geh. (Herr Mercadowski geht ab. Nach einigem Stillschweigen.) Die Alte wechselt die Männer öfter als ihre Unterbuchse. Hoffentlich hält der Hausmeister die Klappe. Wenn die das rauskriegt, hat mein Föten Kirmes! (geht ab.)

 

Klassenraum

Zweiter Auftritt.

Frau Posa, David, Nalan, Abdelkarim, Daisy, Igor, mehrere Schülerinnen und Schüler

 

Frau Posa: Ich habe immer vom Friedensnobelpreis geträumt. Schon als kleines Mädchen. Jetzt bin ich Lehrerin. Noch habe ich meinen Traum nicht aufgegeben. (lacht.)

Nalan: Und dann sind Sie hier?

Frau Posa: Wie sagte doch ein großer deutscher Dichter: „Wer sich den Menschen nützlich machen will, muss doch zuerst sich ihnen gleich zu stellen suchen.". Heute wollen wir uns erst einmal kennenlernen! Was wollt Ihr denn einmal werden? Igor, du fängst an!

Igor: Na, toll! (nach Stillschweigen plötzlich.) Zuhälter! (Schüler lachen.)

Frau Posa (lächelnd): Wieso?

Igor: Weil die immer Geld und Frauen haben. (Schüler lachen.)

Frau Posa: Und du Abdelkarim?

Abdelkarim: Ich auch. (Schüler nicken zustimmend.)

Frau Posa (weist auf Nalan): Und du?

Nalan: Ich weiß nicht. Vielleicht was mit Elektro.

Frau Posa: Magst Du gerne Physik?

Nalan: Nein. Aber David.

Frau Posa (zu David): Das ist ja interessant. Was willst du werden?

David (beugt den Kopf nach unten): Hartz 4 Empfänger.

Frau Posa: Habt Ihr keinen Traumberuf? Wenn eine gute Fee zu euch käme und ihr alles sein könnt, was ihr wollt, was wäre das? Daisy, überleg mal!

Daisy: Hartz 4. (Schüler lachen.)

Frau Posa: Das bringt uns nicht weiter. Als Hausaufgabe malt ihr, was ihr sein wollt, wenn eine Fee euch alles erfüllen kann.

Daisy: Wir kriegen nie Hausaufgaben auf!

Frau Posa: Dann fangt jetzt damit an! (Schüler lachen und weisen auf die Klassenuhr. Der Schulgong ertönt. Alle gehen ab.)

 

Zweiter Akt.

Schulflur

Erster Auftritt.

Frau Posa, David

 

Frau Posa: Was machst Du hier? Du musst raus an die frische Luft! Ihr dürft nicht im Gebäude sein während der Pause. (David wendet sich ab. Frau Posas Blick fällt auf Davids Schuhe. Nach kurzem Schweigen.) David, deine Schuhe sind nass. Bei diesem Wetter musst du andere Schuhe anziehen. Welche,  die besser isoliert sind. (David schaut weg.) David warte mal. Apropos Isolieren. Kennst du das Wasserstoffproblem?

David: Nein.

Frau Posa: Wenn du magst, kannst du dazu ein kurzes Referat halten. Weißt Du, Wasserstoff diffundiert überall durch. Er ist molekular sehr klein und ganz schlecht zu speichern unter Druck. Aber er ist auch sehr gefährlich. Er kann auch zur Explosion führen. Ein richtiges Energiespeicherproblem. Ich kann dir dazu Unterlagen geben.

David: Mal schaun. (Beide gehen ab.)

 

Schulhof

Zweiter Auftritt.

David, Nalan, Daisy

 

Nalan: Die Neue ist voll behindert. Denkt, sie is so schön, voll die Hässlige. Redet so schlau. Nur weil die studiert hat.

Daisy: Voll die Hässlige! Echt herbe. Glaubt, sie is was Bessres.

David (grinst): Die hat mich eben vollgelabert. Nur weil ich drinnen war. Voll herbe. Die Frau Posa will, dass ich ein Referat mache. Nur weil ich drinnen war.

Daisy: Nur weil die dich erwischt hat?! Voll herbe. Und, machst du’s?

David: Weiß nicht.

Nalan: Schleimer.

Daisy: Schleimer. Schleimer.

(Daisy und Nalan gehen ab.)

David: Wasserstoff. Ein Stoff, der so klein ist, dass er überall durch kann. Nichts kann ihn aufhalten. Nur, weil der so klein ist, kann der überall durch. Man muss nur klein sein. Moleküle sind ganz klein. Klein, aber gefährlich. Klein und gefährlich. (David geht ab.)

 

Dritter Akt.

Klassenraum

Erster Auftritt.

Frau Posa, David, Nalan, Abdelkarim, Daisy, Igor, mehrere Schülerinnen und Schüler

 

Nalan: Was sollen wir machen?

Frau Posa: Paint your own bedroom and write the right English words on the furniture!

(Schüler greifen sich Stifte und beginnen zu malen.)

Daisy: Mrs. Posa, was heißt Stuhl?

Frau Posa: Say it in English, Daisy!

Daisy: What’s the name of Stuhl?

Frau Posa: What’s Stuhl in English, David?

David: Chair.

Frau Posa: That’s right. Well done, David. (Geht zu Daisy und betrachtet ihre Zeichnung.) You don’t have a chair, Daisy. You’ve got a Liegestuhl. You better say recliner.

Daisy: Hä?

Frau Posa: Recliner means Liegestuhl.

Daisy: Mmh.

Frau Posa (Geht die Sitzreihen ab und betrachtet die Zeichnungen.): Igor, you‘ve got an aquarium?

Igor: I love fishes! (weist auf seine Zeichnung) And here you can see my terrarium. I’ve got a bird spider!

Frau Posa: Very interesting, Igor. Can you tell us something about that bird spider in our next lesson?

Nalan: Bird spider? Ne Vogelspinne oder was?

Igor: Ja, ne Vogelspinne. Hast du ein Problem?

Nalan: Iiih. Voll eklig.

Daisy: Herbe eklig.

Frau Posa: Disgusting, Nalan. (Geht zu Abdelkarim und betrachtet seine Zeichnung.) Abdelkarim, you have to paint your bedroom, not a single carpet!

Abdelkarim: Aber, ich…ich habe…. (Schüler lachen.)

Frau Posa: Say it in English please!

Abdelkarim: I don’t have a bed! (Schüler lachen.)

Frau Posa (fährt mit der Hand über die Stirn, dann scharf durch die Luft): Stop laughing! (leise zu Abdelkarim) Gut, dann mal weiter. (Geht zur Tafel. Nach längerem Stillschweigen.) So tell me the right words for bedroom furniture!

David: Shelf.

Frau Posa: That’s right. Go on Igor!

Igor (grinst): Carpet. (Schüler lachen.)

Frau Posa: Right. Go on, Daisy!

Daisy: Bed. (Alle Schüler bis auf Abdelkarim lachen.)

Frau Posa: Stop laughing! Take your books and look at page 26! Daisy, start reading!

Daisy: Ich habe mein Buch vergessen!

Frau Posa: Dann nimm Nalans Buch!

David: Mrs. Posa the break has started! (Der Schulgong ertönt. Alle Schüler gehen ab.)

Frau Posa (in sich zusammengesunken): Warum habe ich den Schlafenden die Wetterwolke gezeigt, die über ihnen hängt? Wär’s nicht genug gewesen, sie still vorüberzuführen, auf das heller Himmel ist, wenn sie erwachen? (geht ab.)

 

Lehrerzimmer

Zweiter Auftritt.

Frau Posa, Frau Olivarez, Herr König

 

Frau Posa: Kann ich eine Spendenaktion für einen Schüler durchführen, um ihm ein Bett zu kaufen? Er hat keins.

Frau Olivarez (sieht auf die Uhr): Es ist noch nicht Lehrerversammlung.

Herr König (belustigt): Noch nicht die Stunde, wo wir helfen dürfen? Das ist doch schlimm. Vergessen sie nicht, mich zu erinnern, wenn sie kommt. (zu Frau Posa.) Das mit dem Spenden können Sie vergessen. Selbst wenn wir Geld zusammenbekämen, würden die Eltern das nicht annehmen. Ist auch nachzuvollziehen.

Frau Posa: Ich habe in einem langen, schweren Traum gelegen. Jetzt bin ich erwacht.

Herr König: Ach lassen Sie doch den Schiller! Der hilft hier nicht mehr.

(Der Schulgong ertönt. Alle gehen ab.)

 

Vierter Akt.

Schulflur

Erster Auftritt.

Frau Posa, David

 

Frau Posa: Warte einmal David!

David: Eh.

Frau Posa: Und, hast du dir das überlegt mit dem Wasserstoffreferat?

David: Nö.

Frau Posa: Ach komm. Das wird bestimmt spannend. Ich hab dir in meiner Pause schnell was zusammengestellt. (reicht David ein paar Ausdrucke.) Schau mal rein. Das ist bestimmt was für dich! (kramt in ihrer Tasche, zieht ein Smartphone heraus.) Schau mal das Video mit der Knallgasexplosion!

David: Danke, aber…

Frau Posa (zeigt auf Smartphone): Sieh mal, das ist wirklich gewaltig.

David: Alter! (Stillschweigen.) Herbe!

Frau Posa: Siehst du, doch interessant, oder?

David: Kann sein.

Frau Posa: Hey, sagen wir nächste Woche. Also am Montag. Dann kannst du uns mal was dazu vorstellen. Gerne auch ein Video zu deinem Referat. Wenn du Fragen hast, findest du mich im Lehrerzimmer.

(Beide gehen ab.)

Lehrerzimmer

Zweiter Auftritt.

David, Frau Olivarez, Herr König

 

David: Kann ich bitte Frau Posa sprechen?

Frau Olivarez: Die ist schon weg.

David: Ich hab hier was für Frau Posa.

Frau Olivarez: Ich bin hier nicht die Poststelle.

David: O.k. (David geht ab.)

Herr König: Frau Kollegin, das war aber nicht nett.

Frau Olivarez: Ich bin nicht hier, um nett zu sein.

Herr König: Das hören diese Kinder immer. (zu sich.) Es ist Winter und der Junge läuft im T-Shirt und nassen Stoffschuhen herum.

(Beide gehen ab.)

Fünfter Akt.

Klassenraum

Erster Auftritt.

Frau Posa, Nalan, Abdelkarim, Daisy, Igor, mehrere Schülerinnen und Schüler

 

Frau Posa: Am Montag stellt David uns das Wasserstoffproblem vor.

Nalan: Ich wusst es! Streber.

Daisy: Voll der Streber.

Frau Posa: Ihr könnt generell Referate zu einem Thema eurer Wahl vorstellen. So könnt ihr schlechte Noten ein Stück weit ausgleichen.

Igor: Frau Posa, David ist nach Hause gegangen.

Frau Posa: Weshalb?

Abdelkarim: Der ist beim Rauchen erwischt worden.

Igor: Alter, das wird hart. Der kriegt voll auf die Fresse von seiner Mudda. (Schüler lachen.)

Frau Posa: Kriegt euch mal ein. Igor, wie sieht es mit dem Vogelspinnenreferat aus?

Daisy: Alter, Vogelspinnen.

Igor: Muss das sein?

Frau Posa: Jetzt ja. Also dann nächsten Donnerstag in Englisch.

Igor: Auf Englisch?

Frau Posa: Gerne.

Nalan: Herbe.

Abdelkarim: Was ist Wasserstoff?

Igor: Alter, H! Hatten wir doch schon bei dem König! H! Kannst doch ganz einfach selbst herstellen. Wasser, 2 Drähte rein, Strom dran, fertig.

Frau Posa: Da weiß aber jemand Bescheid. Vielleicht doch lieber ein Chemiethema fürs Referat? (Schüler lachen.)

Igor: Nein.

(Der Schulgong ertönt. Alle gehen ab.)

 

Schuleingang

Zweiter Auftritt.

Frau Posa, Herr Mercadowski

 

Frau Posa (zu sich): Erst so kurz hier und schon fühle ich mich krank. Ich hatte mir viel, sehr viel versprochen. Mich für Chancengerechtigkeit einzusetzen. Einstehen für die Bildungsgerechtigkeit im Ruhrgebiet. Aufstiegsmöglichkeiten? Für keinen. Weder für die Kinder, noch für mich. (Sieht Herrn Mercadowski an einem Fahrrad hantieren.)

Herr Mercadowski (zu sich): Ker wat bissu baselig heut! Verdorri  nommaa, ich krich das nich auseinander gefrickelt! Allet kappores. Boah wat zieht sich dat heut widda!

Frau Posa: Guten Tag! Sie sind der Hausmeister Herr Mercadowski? Ich bin Frau Posa, die neue Lehrerin.

Herr Mercadowski: Jou.

Frau Posa (kramt in ihrer Tasche, zieht eine Tüte heraus.): Möchten Sie? Habe ich selber gebacken.

Herr Mercadowski: Gib ma her dat Bömsken. Getz hasse hier aber was gebrotschelt...kannse donnich essen! (nach betretenem Stillschweigen.) Spaaß! Dat war doch nur Spaaß!

Frau Posa: Da muss ich mich noch dran gewöhnen, an den Humor hier. (Ein lauter Knall ertönt in der Nähe.) Was war das?!

Herr Mercadowski: Donnerlüttchen, hasse dat gehört? (Schüler rennen aus der Schule.) Kumma, wie die Blagens am Feckeln sind. Gehn getz bötschen.

Frau Posa: Da ist doch was passiert!

Herr Mercadowski: Dat wa Cymczyks König. Der sprengt noch die Schule wech.

Frau Posa: Ich geh. Das Meinige ist getan. Tun Sie das Ihrige. (geht ab.)

Herr Mercadowski: Ja, wat denn? Ette geht wieda, wir bleiben.

 

 

 

 

 

Im Glück nicht stolz sein, im Leid nicht zagen, das Unvermeidliche mit Würde tragen, das Rechte tun, am Schönen sich erfreuen, das Leben lieben und den Tod nicht scheuen und fest an Gott und bess're Zukunft glauben, heißt Leben, heißt dem Tod sein Bitt’res rauben.

(Carl Streckfuß)

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